Freitag, 10. Juni 2016

Modern oder diskriminierend? - Der Burkini

Zurzeit wird wieder einmal über das Verbot der "Ganzkörperbadebekleidung" diskutiert. Nach Beschwerden von Besuchern hat man jüngt in Neutraubling ein "Burkini-Verbot" ausgesprochen. Ist eine solche Entscheidung im Sinne der Freiheit oder ist sie diskriminierend? Die Diskussion ist nicht neu. Wir haben uns schon 2009 für unser Magazin "Bäder Sport Gesundheit" mit dem Thema Burkini beschäftigt. Nachfolgend findet ihr den leicht bearbeiteten Bericht aus dem Jahr 2009, als das Thema schon genauso heiß diskutiert wurde, wie nun, sieben Jahre später.




Einige priesen ihn als die Wunderlösung, um auch Muslimen eine Teilnahme am Schwimmsport zu ermöglichen. Andere verteufelten ihn als tiefsten Ausdruck der Frauenfeindlichkeit und sprachen sich für ein Verbot aus. Die Rede ist vom „Burkini“ oder, um den englischsprachigen Oberbegriff für diese Badebekleidung zu gebrauchen, die „modest“ oder „full coverage swimwear“ also Ganzkörper Badebekleidung. Die kennen wir in anderer Form schon von den Weltmeisterschaften im Schwimmen, wo Ganzkörperanzüge mit spezieller Beschichtung neue Wunderzeiten ermöglichten. Das regte zwar auch viele Schwimmfreunde auf und nicht wenige sprachen sich für das Verbot dieser Bekleidung aus. Die Gründe der Ablehnung waren aber andere als etwa beim Burkini. Die neuen Anzüge machte durch ihre besondere Beschichtung schneller und ermöglichten so Fabelzeiten, die kein »nackter« Schwimmer erreichen konnte.
Cover Bäder Sport Gesundheit von 2009
Der Burkini ist ein zweiteiliger Schwimmanzug mit einer integrierten Kopfbedeckung und erfüllt angeblich die Anforderungen des Hidschab, also der geforderten islamischen Körperbedeckung der Frau. Dabei ist strittig, welcher Art diese Körperbedeckung zu sein hat.
Der Hidschab wird im Koran an einigen Stellen im Sinne einer Trennwand erwähnt, nicht jedoch im Sinne eines Kleidungsstücks. Obwohl sich das Tragen des Hidschab nach Ansicht vieler Vertreter des Islam aus dem Koran nicht ableiten lässt und sich dort auch keinerlei Regeln, wie oder in welchem Ausmaß ein Kleidungsstück im Sinne einer Bekleidungsvorschrift zu tragen ist finden, wird der Hidschab in vielen Ländern gesetzlich gefordert. So stellen z.B. Saudi-Arabien und der Iran das Nichtragen unter Strafe. Frauen, die diese Kleiderregeln befolgen wollten, waren lange Zeit quasi vom Besuch einer öffentlichen Badeanstalt ausgeschlossen.
Der Burkini sollte seit einiger Zeit hier Abhilfe schaffen. Dabei ist der Begriff „Burkini“ ein Kofferwort aus Burka und Bikini. Einzelne Anbieter vertreiben Formen des Anzugs auch unter dem Begriff Veilkini (Schleier-kini). Anders als eine Burka, zeigt der Burkini aber deutlich mehr vom Körper und ermöglicht auch eine einfachere Bewegung. Auf der Seite http://www.splashgearusa.com/ finden sich einige Burkini-Fotos, zum Teil auch von Käuferinnen der Firma eingereicht. Insbesondere bei einigen Tauchfotos ist kaum ersichtlich, dass es sich überhaupt um einen Burkini handelt und nicht um einen Tauchanzug. Splashgear war so freundlich uns für diesen Bericht kostenlose Pressefotos zur Verfügung zu stellen. Allerdings fragte das Unternehmen zuvor nach, ob der Bericht das Thema auch ausgewogen behandelt. Zu groß war die Angst, auch für einen einseitig negativen Beitag noch die Bilder zu liefern.
Nicht unumstritten
Der Grund für die Sorge ist zu verstehen, denn der Burkini ist nicht überall unumstritten. 2009 bezog auch der Zentralrat der Ex-Muslime zu diesem kontrovers diskutierten Thema Stellung. Er  warnte vor einer Zulassung des „Burkini“ für muslimische Frauen in öffentlichen Bädern in Deutschland. „Wenn der Burkini in deutschen Bädern generell erlaubt wird, dann  stärkt dies nur die islamische Frauenfeindlichkeit“, sagte Zentralratsvorsitzende Mina Ahadi der „Leipziger Volkszeitung“. Ahadi  befürchtet, dass islamische Frauen sich dann bald nur noch im Ganzkörper-Badeanzug in öffentliche Schwimmbäder trauen.  „Damit haben wir dann das gleiche Problem, wie mit dem Kopftuch. Das ist das Gegenteil von Integration, wenn Frauen derart  öffentlich stigmatisiert werden,“ sagte sie gegenüber der Zeitung.
Der Zentralrat der Ex-Muslime schreibt in seiner Pressemeldung weiter:
Der Ganzkörper-Badeanzug sorgt gerade in Frankreich für einen öffentlichen Streit, nachdem ein Bademeister einer Muslima das Baden im Burkini aus hygienischen Gründen verboten  hatte. In Deutschland ist unter anderem in Berlin das  Baden im Burkini während festgelegter Frauenschwimmzeiten in den öffentlichen Bädern erlaubt. Die ursprünglich als Testphase bis Sommer angelegte Zulassung wird in Berlin nun verlängert, obwohl das Interesse der Muslime ausblieb. „Die Testphase für den Burkini ist ergebnislos beendet worden, da binnen sechs Monaten keine Dame kam, um im Burkini zu schwimmen“, teilte ein Sprecher der Berliner Bäderbetriebe mit. Dennoch werde man das Schwimmen im Burkini auch weiter tolerieren.
Das  fehlende Interesse wundert Ex-Muslima Ahadi  nicht. Die meisten islamischen Frauen würden auch weiterhin lieber im konventionellen Badeanzug Schwimmen gehen. „Leider dient aber der   Burkini einigen radikalen islamischen Organisationen als willkommenes Symbol, um ein politisches Schauspiel zu inszenieren. Diese Entmündigung von Frauen hat aber in einer aufgeklärten Gesellschaft des 21. Jahrhunderts nichts zu suchen“, so Ahadi weiter.
Der Zentralrat  der Ex-Muslime kritisiert zudem scharf, dass Schulen weiterhin Ausnahmen beim Schwimmunterricht für islamische Mädchen zulassen. „Es ist ein unfassbarer Skandal, dass in Deutschland islamische Eltern ihren Mädchen den regulären Schwimmunterricht verbieten und dies toleriert wird.“ Auch den Burkini als Kompromiss für eine Schwimmunterricht-Teilnahme lehnt Ahadi ab. „Wenn der Burkini zur Bedingung wird, dass Muslime ihren Mädchen den Schwimmunterricht erlauben, dann  ist der  Weg nicht weit zur nächsten Forderung nach geschlechtergetrennten Unterrichtsräumen. Das ist eine Spirale ohne Ende, die eine Geschlechterapartheid mitten in Deutschland möglich macht“, so Ahadi.
Hygiene kein Problem
Ganz so sieht man es an anderen Stellen allerdings nicht. Insbesondere die Frage der Hygiene beurteilt Joachim Heuser vom Bundesverband öffentlicher Bäder anders. In der „Augsburger Allgemeine“ vom 17. August 2009 sagt er, dies sei alles Unsinn. Badekleidung aus synthetischem Material stelle kein hygienisches Problem für die modernen Wasseraufbereitungsanlagen der Bäder dar, egal, wie lang diese sei. Das gelte sowohl für Badeshorts als auch für Burkinis.
Da Burkinis aus Lycra, also Elastan bestehen, also aus dem gleichen Material wie die meisten Badenazüge, sollte die Verschmutzung somit also auch nicht größer sein, als etwa durch die ungeliebten „Shorts“.
Urteil zum Schwimmbesuch
Im Bezug auf die Teilnahme islamischer Mädchen am Schwimmunterricht hat es inzwischen schon ein entsprechendes Urteil gegeben, dass das Tagen eines Ganzkörperschwimmanzugs als Möglichkeit sieht, trotz religiöser Regeln am Schwimmunterreicht teilzunehmen. In der Pressemeldung des Oberverwaltungsgerichts NRW vom 20. Mai 2009 heißt es dazu:
„Muslimische Mädchen im Grundschulalter haben grundsätzlich keinen Anspruch auf Befreiung vom koedukativen Schwimmunterricht. Regelmäßig ist ihnen zumutbar, eine den islamischen Bekleidungsvorschriften entsprechende Schwimmkleidung zu tragen. Das hat der 19. Senat des Oberverwaltungsgerichts heute in einem Eilverfahren entschieden und damit einen gleichlautenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen bestätigt.
Die Eltern des Mädchens, das die Grundschule in Gelsenkirchen besucht, hatten beim Schulamt vergeblich die Befreiung ihrer Tochter vom Schwimmunterricht beantragt. Sie erklärten, sie befürworteten eine strenge Auslegung des Korans. Diese gebiete ihnen, Kinder schon ab dem 7. Lebensjahr vor sexuellen Versuchungen zu bewahren. Auch das Verwaltungsgericht lehnte die Befreiung ab, weil die Tochter sich durch entsprechende Schwimmbekleidung vor den Blicken anderer schützen könne. Hiergegen wandten die Eltern ein, der Schwimmanzug sauge sich mit Wasser voll und behindere ihre Tochter beim Schwimmen. Außerdem stelle er eine zusätzliche Gefahr für Leib und Leben dar.
Der Senat hat diese Einwände zurückgewiesen. Es sei inzwischen nichts Ungewöhnliches mehr, dass muslimische Frauen und Mädchen beim Schwimmen einen sog. Burkini trügen. Das gelte sowohl in islamisch geprägten Ländern als auch in Deutschland. Auch im Schwimmunterricht in der Grundschule sei den Mädchen das Tragen einer derartigen Schwimmbekleidung grundsätzlich zumutbar. Es sei geeignet, einen hier im Einzelfall auftretenden Glaubenskonflikt ohne Trennung der Geschlechter und ohne Befreiung zu bewältigen. Es sei auch nicht erkennbar, dass dies bei der Tochter der Antragsteller ausnahmsweise anders sei. Insbesondere bestehe bei ihr nicht etwa die Gefahr, wegen des Schwimmanzugs von Mitschülern gehänselt zu werden. Geschehe dies gleichwohl, sei es selbstverständlich auch im Schwimmunterricht die Pflicht der Lehrkräfte, auf diese Mitschüler mit dem Ziel pädagogisch einzuwirken, dem Mädchen verständnisvoll, tolerant und respektvoll zu begegnen.
Der Beschluss ist unanfechtbar (Az.: 19 B 1362/08).“
Dass man mit einem Ganzkörper-Schwimmanzug, sofern es sich nicht um die bekannten Schwimmanzüge für Leistungssportler handelt, schlechter bzw. langsamer schwimmt als mit einem normalen Badeanzug, ist sicherlich unstrittig. Insbesondere in der Schwimmausbildung fehlen hier aber noch statistische Aussagen, inwieweit ein Burkini daran hindert, das Schwimmen zu erlernen.
Entmündigung?
Im Raum stehen bleibt zweifellos die Frage, ob es konservative Moslems durch den Burkini nicht einfacher haben, ihre Frauen so zu „entmündigen“ bzw. in ein ungeliebtes religiöses Korsett zu drängen. Dies wird sicherlich in einigen Fällen so sein. Allerdings stellt sich auch die Frage, ob nicht viele Frauen (egal ob sie gezwungen werden Kleidung nach den Regeln des Hidschab zu tragen oder dies freiwillig machen) nur durch die neue Badebekleidung die Möglichkeit haben, an Schwimmveranstaltungen teilzunehmen.
In der Presse
Ist der Burkini also Zweck, wie es die Erfinderin des Burkini, eine in Australien lebende Libanesin, sagt, oder Zwang, wie der Zentralrat der Ex-Muslime es beschreibt?
International haben sich Zeitungen und Magazine immer wieder intensiv mit dieser Frage beschäftigt.
Für die Wochenzeitung „Die Zeit“ ist der Burkini in ihrer Ausgabe vom 19. August 2009 schlicht ein „Badeanzug aus Lycra, der nur Hände, Füße und das Gesicht frei lässt, nicht unähnlich den Bekleidungen der Wettkampfschwimmer und Surfer, nur verspielter.“ Dort versteht man  Frankreichs Diskussion um das Kleidungsstück offenbar nicht wirklich und auch der österreichische Standard nannte die „Aufregung“ der Franzosen in seiner Onlineausgabe eine „Sommerposse“.
Im Time Magazin vom September unternahm die Time Journalistin Azadeh Moaveni den Selbstversuch in Teheran unter Berücksichtigung der religiösen Regeln Joggen zu gehen, was sie dazu veranlasste doch lieber in den Bergen hiken zu gehen.
Fazit ihres Beitrages ist, dass es für religiöse muslimische Frauen nur zwei Möglichkeiten gibt, ihren Wunschsport auszuüben, ohne dabei religiöse Regeln zu verletzen. Entweder in Sportgruppen in denen nur Frauen aktiv sind, oder durch das Tragen entsprechender Bekleidung. So wäre es der Sprinterin Roqaya al-Ghasara aus dem Königreich Bharein bei den olympischen Spielen 2008 nicht möglich gewesen die 200 Meter zu laufen, hätte sie nicht einen Ganzkörperanzug getragen.
Integration nur ohne Burkini?
Eine völlige Integration, wie sie der Zentralrat der Ex- Muslime fordert, hieße zweifellos auf alle religiösen Kleidersymbole, also auch auf das Kopftuch zu verzichten. Dies wäre jedoch deutlich zu weit gegriffen, denn auch hier muss stets die Freiwilligkeit im Vordergrund stehen. Wer sich selbst, und nicht aufgrund sozialer Zwänge, dazu entscheidet entsprechende Kleidung zu tragen, dem muss dies auch freigestellt werden. Schließlich sind nicht nur religiöse Gründe der Grund, warum Frauen solche Bekleidung tragen. Sowohl Krebspatienten, die Sonnenlicht meiden müssen, als auch Menschen mit entstellenden Brandverletzungen nutzen den Burkini als Schutz. Nicht immer stehen also religiöse Zwänge hinter der Entscheidung für eine Ganzkörper Badebekleidung.
Doch genau dies herauszufinden ist das größte Problem und so wird der Burkini wie das Kopftuch noch lange ein Streitthema bleiben. Vielleicht sogar noch dann, wenn Ganzkörperanzüge zum Massenprodukt geworden sind.
Und bei aller Diskussion über die Unsinnigkeit dieser Badebekleidung darf nicht vergessen werden, dass vor 150 bzw. vor Jahren in Deutschland noch die Badebekleidung vorgeschrieben war, die den gesamten Körper bedeckte. Damals hat sich keiner darüber aufgeregt und zweifelsfrei war das Schwimmen mit diesen Kleidungsstücken deutlich schwieriger, als mit heutigen Burkinis.
Titelbild des Magazins Bäder-Sport-Gesundheit mit freundlicher Genehmigung der Firma Splashgear www.splashgearusa.com